Volksentscheid
Bei einem Volksentscheid bestimmen die Bürger, was in einem Land oder einer Stadt passieren soll. Zum Beispiel dürfen die Einwohner einer Stadt entscheiden, ob ein neues Schwimmbad gebaut wird oder nicht. Für Volksentscheid gibt es noch andere Ausdrücke, wie Volksabstimmung, Referendum oder Plebiszit. Mit Volk ist hier das Staatsvolk gemeint.
Nicht in allen Ländern oder Städten gibt es Volksentscheide. Dort, wo es sie gibt, können die Regeln sehr verschieden sein. Die Regeln dafür stehen in der Verfassung des Landes oder in anderen Gesetzen.
Wer Volksentscheide gut findet, denkt dabei daran, dass das Volk möglichst viel selber bestimmen soll. Andere Leute sind eher gegen Volksentscheide. Sie fragen sich, ob das Volk sich wirklich Mühe genug gibt, sich über eine Sache schlau zu machen und „richtig“ zu entscheiden.
Was bedeuten Volksentscheide für die Demokratie?
Normalerweise wählen die Bürger ein Parlament. Dabei stimmt man für einen Menschen oder eine Partei, die einen im Parlament vertreten soll. Das Vertreten nennt man auch repräsentieren. Daher kommt der Ausdruck „repräsentative Demokratie“: Das Volk herrscht, indem es alle vier Jahre das Parlament wählt. Die Menschen im Parlament treffen dann die wichtigen Entscheidungen.
Manche Leute finden, dass es nicht nur ein Parlament geben soll. Die Bürger sollen nicht nur Vertreter wählen dürfen, außerdem auch noch „direkt“ über etwas entscheiden können, das sie wichtig finden. Die Bürger sind wahrscheinlich zufriedener, wenn sie über einzelne Fragen mitentscheiden dürfen. Volksentscheide nennt man daher auch „direkte Demokratie“.
Wie funktioniert ein Volksentscheid?
Ein Volksentscheid ist im Grund nichts anderes als eine Wahl. Auf dem Stimmzettel stehen aber nicht die Namen von Politikern, sondern es gibt meistens eine einfache Frage. Manchmal geht es um die Frage, ob es ein neues Gesetz zu etwas geben soll. Im Jahr 1994 zum Beispiel hat man die Bürger von Finnland gefragt, ob ihr Land Mitglied der Europäischen Union werden soll. Mehr als die Hälfte derjenigen, die abgestimmt haben, haben das mit Ja beantwortet.
Zunächst muss festgestellt werden, ob überhaupt ein Volksentscheid zu einer bestimmten Frage stattfindet. In manchen Ländern entscheidet darüber das Parlament oder die Regierung. In anderen Ländern können auch Bürger das fordern. Dazu muss eine bestimmte Anzahl von Bürgern eine solche Forderung unterschrieben haben. Man nennt das zum Beispiel ein „Volksbegehren“: Das Volk, genauer eine große Anzahl der Bürger, verlangt, dass es einen Volksentscheid gibt.
Wenn feststeht, dass ein Volksentscheid kommt, werden die Bürger aufgerufen, zur Abstimmung zu gehen. Normalerweise gehen sie zu einem Wahlbüro in ihrer Nähe, genau wie bei einer Wahl. Jeder bekommt einen Stimmzettel, auf dem die Stimmfrage und die möglichen Antworten stehen. Man macht ein Kreuz bei der Antwort, die man für gut hält. Dann wirft man den Stimmzettel in einen Kasten, und später wird ausgezählt. Die Antwort oder Meinung, die auf den meisten Stimmzetteln angekreuzt ist, hat gewonnen.
Allerdings gibt es dann noch eine weitere Hürde: Ein Volksentscheid ist meist nur dann wirksam, wenn überhaupt genügend Bürger abgestimmt haben. In vielen Ländern sprechen die Regeln von einer bestimmten „Beteiligung“: Der Volksentscheid gilt nur dann als angenommen, wenn eine Mindestanzahl aller Bürger, die abstimmen durften, das auch tatsächlich getan haben.
Ein Beispiel: Im Jahr 1929 waren die Nationalsozialisten und andere Parteien gegen einen bestimmten Vertrag Deutschlands mit den Ausland. Es kam zum Volksentscheid. Fast alle Bürger, die abgestimmt haben, waren gegen den Vertrag. Aber es hat nicht einmal jeder fünfte Bürger überhaupt an der Abstimmung teilgenommen. Die allermeisten Deutschen sind einfach zuhause geblieben. Für einen erfolgreichen Entscheid hätten mindestens die Hälfte aller Bürger abstimmen müssen. Daher ist es dann trotzdem zu dem Vertrag gekommen, gegen den die Bürger abgestimmt hatten.
Warum sind manche Leute gegen Volksentscheide?
Viele Bürger mögen Volksentscheide, weil sie dann mehr mitbestimmen können, was in der Politik passiert. Aber viele andere Bürger sind gegen Volksentscheide, oder sie sind zumindest meistens dagegen. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe.
Die Gegner meinen, dass bei vielen Volksentscheiden nicht wirklich „das Volk“ entscheidet. Zum Volksentscheid oder gar zu einem Ja kommt es meist nur, wenn Parteien dahinterstehen. Die Parteien haben ihre eigene Meinung und genügend Geld und Helfer, um Werbung für ihre Meinung zu machen. Auch andere Organisationen und zum Beispiel Unternehmen machen das. Am Ende sind die Bürger so stark beeinflusst, dass ihre eigene Meinung nicht mehr viel ausmacht.
Volksentscheide sind teuer. Der Staat muss dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Zum Beispiel darf jeder Bürger nur einen Stimmzettel bekommen und die Auszählung muss überwacht werden, damit keine Fehler gemacht werden. Das alles kostet den Staat viel Geld.
Außerdem finden die Gegner, dass Volksentscheide nicht unbedingt bessere Entscheidungen bringen. Die Entscheidung der Bürger ist nicht automatisch klüger als die Entscheidung des Parlamentes. Viele Bürger haben keine Lust, etwas hinzuzulernen, um gut durchdacht abzustimmen. Manche Bürger denken nur an den eigenen Vorteil: Vielleicht stimmen sie für den Bau eines neuen Schwimmbades in ihrer Stadt, weil sie gern schwimmen und nicht so weit dafür fahren wollen. Sie denken aber nicht darüber nach, dass das Schwimmbad die Stadt viel Geld kostet, das die Stadt nicht hat.
Gibt es Volksentscheide in Deutschland?
Früher, in der Weimarer Republik, gab es Volksentscheide für ganz Deutschland. Damals kam es zu zwei Volksentscheiden. Beide Male haben aber nicht genug Bürger teilgenommen.
Die Bundesrepublik Deutschland gibt es seit dem Jahr 1949. Bislang hat man noch keine Volksentscheide im ganzen Land gehabt. Dafür gibt es keine Gesetze, die so etwas vorsehen. Der Grund dafür sind die Erfahrungen aus der Weimarer Republik: Man meint, damals hätten Extremisten die Volksentscheide missbraucht, um Stimmung gegen die Demokratie zu machen.
Allerdings kennt man in Deutschland Volksentscheide in den Bundesländern. Jedes Bundesland kann selber regeln, wie solche Volksentscheide aussehen. Daher hat man Unterschiede, was die Beteiligung angeht: In Sachsen-Anhalt und vielen anderen Bundesländern ist die Abstimmung erst wirksam, wenn mindestens ein Viertel aller Bürger abgestimmt hat. In Bremen und anderen Ländern reicht dafür schon ein Fünftel oder noch weniger.
Die hohe nötige Beteiligung entmutigt Bürger, einen Volksentscheid ins Leben zu rufen. Außerdem kommt es nur dazu, wenn vorher ausreichend Unterschriften gesammelt wurden. Wenn die Bürger nicht viel Zeit erhalten, Unterschriften zu sammeln, wird ein Volksentscheid ebenfalls unwahrscheinlicher. In Bayern hat man dafür zwei Wochen, in Sachsen acht Monate Zeit.
Wann kommt es zu Volksentscheiden in Österreich?
In Österreich kennt man Volksbegehren, mit denen Bürger etwas fordern können. Das kann Einfluss auf die Politik haben. Dennoch können die Bürger das Parlament mit einem Volksbegehren zu nichts zwingen.
Eine Volksabstimmung gibt es, wenn die Verfassung Österreichs stark geändert werden soll. Zum Beispiel stimmte das Volk im Jahr 1994 darüber ab, ob Österreich Teil der Europäischen Union werden soll. Wenn ein Land der Europäischen Union beitritt, hat das große Folgen für die Verfassung. Daher musste man das Volk befragen. Es haben zwei Drittel der Bürger für den Beitritt gestimmt.
Außerdem kann das österreichische Parlament, der Nationalrat, beschließen, dass es zu einer Volksabstimmung kommt. Das macht der Nationalrat, wenn im Volk und im Nationalrat verschiedene Meinungen zu einer wichtigen Sache herrschen. Der Nationalrat hat allerdings erst einmal eine solche Volksabstimmung beschlossen: Im Jahr 1978 stimmten die Österreicher über die Atomenergie ab. Eine ganz knappe Mehrheit der Bürger war gegen Atomkraftwerke.
Was bedeutet direkte Demokratie für die Schweiz?
Anders als in Deutschland und in Österreich sind Volksentscheide in der Schweiz sehr häufig. In keinem anderen Land der Welt ist die direkte Demokratie so stark. Das hängt unter anderem mit der geringen Größe der Schweiz und mit ihrer Geschichte zusammen.
Die Schweiz hatte nämlich nie einen Herrscher über das ganze Land, wie einen König oder einen Kaiser. Niemand konnte also ein Gesetz erlassen, welches für alle Landesteile oder gar Städte galt. Die Männer trafen sich zur Volksversammlung und fällten dort ihre Entscheide. Das ist sogar heute in den Kantonen Glarus und Appenzell-Innerrhoden mit je etwa 15.000 Einwohnern noch so. Man nennt diese Versammlungen „Landsgemeinde“.
Die größeren Städte und Kantone führten nach und nach Parlamente ein, als die Volksversammlungen zu groß wurden. Auch die Schweiz, die es in der heutigen Form erst seit dem Jahr 1848 gibt, brauchte ein Parlament. Es entscheidet nicht nur über Gesetze, sondern auch darüber, wieviel Geld wofür ausgegeben werden soll.
Jede Stadt und jeder Kanton hat eine eigene Verfassung, auch die Schweiz als Ganzes. Die Verfassung regelt jeweils, was die Regierung entscheiden darf, was das Parlament und in welchem Fall dringend das Volk angefragt werden muss. Es ist auch immer geregelt, bis zu welchem Betrag die Regierung oder das Parlament zuständig ist. Darüber hinaus braucht es eine Volksabstimmung. Verfassungsänderungen müssen immer zwingend „vors Volk“.
Das Parlament kann auch eine Vorlage freiwillig vor das Volk bringen, wenn sie von großer Bedeutung ist. Eine Bürgergruppe kann auch Unterschriften sammeln und damit eine Volksabstimmung verlangen, das nennt man „Referendum“. Man kann auch für eine neue Idee Unterschriften einreichen, das nennt man „Volksinitiative“.
Der Bundesrat legt für jedes Jahr vier Abstimmungssonntage fest. Die Kantone und die Gemeinden schließen sich dem an. Wenn dann in der Schweiz, im Kanton und in der Gemeinde je drei Abstimmungen anstehen, sind es insgesamt neun. Das kann schon mal vorkommen. Das Ergebnis einer Abstimmung ist immer gültig, egal wie viele Leute teilnehmen. Man schreibt „Ja“ oder „Nein“ auf den Stimmzettel. Die Mehrheit gewinnt, auch wenn sie noch so knapp ist.
Die meisten Schweizer Bürger, die abstimmen wollen, schicken ihre Stimmzettel mit der Post an die Gemeinde. So müssen sie am Abstimmungssonntag nicht an die Urne gehen. Abstimmen übers Internet ist noch nicht üblich.